Von der Rolle der Studierendenwerke zwischen Studierenden und Politik

Systemischer Balanceakt

Das Kölner Studierendenwerk ist für viele Studierende einer der ersten Anlaufpunkte während des gesamten Studiums. Bereits bevor ich das erste Mal einen Hörsaal betrat, bin ich in mein Wohnheimzimmer eingezogen, mein Zuhause für die nächsten zwei Jahre. Von hier aus intensivierte sich der Kontakt schnell, als überzeugter Mensa-Gänger komme ich inzwischen kaum einen Tag aus, ohne mit den Angeboten des Werks in Berührung zu kommen (in Vor-Corona-Zeiten manchmal auch mehrmals pro Tag).

Ähnlich geht es vielen meiner Kommiliton*innen. Sie nehmen die verschiedenen Beratungsmöglichkeiten wahr oder laufen beim Studi-Werk-Cup mit. Das „Mensen“ gehört für uns zum festen Bestandteil eines Uni-Tages und die Kaffeepausen in den diversen Bistros zu den festen Ritualen eines Bib-Tags. Genau pünktlich zu den warmen Tagen erwacht meine Frozen-Cappuccino-Sucht aus ihrem alljährlichen Winterschlaf und ich bin der festen Überzeugung, allein durch meinen Konsum die Wiederkehr im darauffolgenden Sommer zu finanzieren. Inzwischen bekomme ich als 1. AStA-Vorsitzender der Universität zu Köln auch Eindrücke von den Vorgängen hinter den Kulissen.

Dabei fällt mir eines immer wieder auf: Das Studierendenwerk agiert zwangsweise in unendlich vielen Spannungsverhältnissen aus einer fast unmöglichen Position heraus. Da gibt es einerseits Studierende, die sich stark für ein breiteres veganes Angebot in den Mensen einsetzen –

und andererseits die tatsächlichen Verkaufszahlen von Schnitzel mit Pommes. Oder: der Wunsch, mehr als nur einem Bruchteil der Studierenden kostengünstigen Wohnraum anbieten zu können in einem überlasteten, überspannten und preislich explodierenden Wohnungsmarkt.

Zeitgleich wollen immer mehr Menschen studieren, auch in Köln. Infolge der zwischen Bund und Ländern geschlossenen Hochschulpakte haben wir momentan eine nie da gewesene Anzahl an Studierenden in Deutschland. Schön wäre, wenn sich die steigenden Zahlen dann auch nur annähernd in den Zuschüssen des Landes widerspiegeln würden. Schön wäre es auch gewesen, wenn bei den Hochschulpakten nicht nur auf die reinen Studienplätze geschaut, sondern die soziale Komponente mitbedacht worden wäre. Zu einem Studium und insbesondere einem Bildungssystem mit dem Streben nach Bildungsgerechtigkeit gehört mehr, als Studierenden nur eine Matrikelnummer zuzuweisen und zu erwarten, dass sie sich nach sechs Semestern motiviert auf dem Arbeitsmarkt wiederfinden.

Dies ist jedoch nicht geschehen. Stattdessen sehen sich die Studierendenwerke in der Situation, irgendwie auf die Masse an Studierenden reagieren zu müssen. In Anbetracht der Umstände überrascht es dann auch nicht mehr zu hören, dass Studierende schon gerne einmal länger als ein Semester auf Wartelisten für Wohnheimplätze stehen und 2020 von knapp 90.000 Studierenden in Köln noch nicht einmal 5.000 überhaupt einen Wohnheimplatz bekommen haben. Die Studierendenwerke und natürlich auch das Werk werden angesichts der hohen Anzahl an Studierenden, für genau deren Betreuung sie zuständig sind, und der Untätigkeit der Politik dazu gezwungen, erneut eine unmögliche Entscheidung treffen zu müssen: entweder die Angebote reduzieren, die Preise erhöhen oder den Semesterbeitrag stark anheben. Kommen dann noch weltpolitische Ereignisse wie eine globale Pandemie oder ein Angriffskrieg hinzu, hilft keine Einzelmaßnahme mehr. Dann müssen die Finanzlöcher durch tiefgreifende und radikale Maßnahmen ausgeglichen werden – und das müssen wieder vor allem die Studierenden tragen.

Ob das Werk aus dieser Position überhaupt noch seinem eigentlichen sozialen Auftrag gerecht werden kann, erscheint fraglich. Klar ist, dass bei steigenden Kosten an einer der Stellschrauben gedreht werden muss. Doch wie soll die Entscheidung getroffen werden? Wie kann es sozial vertretbar sein, Beratungsangebote zu reduzieren, wenn jüngst bei einer Befragung der Studierenden der Universität zu Köln rund 50 Prozent laut eigener Angabe Merkmale einer „Major Depression“ aufweisen? Wie können gewissenhaft Preise angehoben werden, wenn der Deutsche

Paritätische Wohlfahrtsverband festgestellt hat, dass etwa 30 Prozent der Studierenden unter der Armutsgrenze leben? Und die viel wichtigere Frage: Welche anderen Optionen bleiben dem Studierendenwerk und generell allen Studierendenwerken Deutschlands? Zum Glück reduziert das Kölner Studierendenwerk die Beratungsangebote nicht und sucht angesichts der dramatischen Zahlen eher noch nach Möglichkeiten, auch die psychosoziale Beratung weiter auszubauen. Gleichzeitig konnte auch das Kölner Studierendenwerk sich nicht vor den drastisch gestiegenen Lebensmittelkosten schützen und musste in der Gastronomie sowohl die Preise erhöhen als auch das Angebot reduzieren. Die Pommes werden vermisst werden.

Das endlose Dilemma sieht man nicht zuletzt daran, dass das Kölner Studierendenwerk für die nächsten Semester den Semesterbeitrag jeweils drastisch um 5 Euro anhebt, zeitgleich Geschäftsführer Jörg J. Schmitz aber die Kampagne „SOS Semesterbeitrag“ des Landes-ASten-Treffen NRW lautstark unterstützt. Es erscheint fraglich, wie lange zwischen all diesen Faktoren noch ein Gleichgewicht gefunden werden kann. Schon jetzt können sich nicht alle Studierenden den Semesterbeitrag leisten oder sind auf Essensmarken des AStA angewiesen, um in den Mensen etwas Warmes zum Mittagessen zu bekommen. Auch diese Angebote werden von der Solidaritätsgemeinschaft der Studierenden getragen. Beispielsweise über den Härtefallausschuss, mit dessen Hilfe sich Studierende den Semesterbeitrag erstatten lassen können. Zusätzlich zu den direkt steigenden Preisen kommen also noch indirekte Ausgaben durch die Verwendung des AStA-Beitrages. Der Zugang zu Bildung unter dem Gedanken der Bildungsgerechtigkeit wird – überspitzt gesagt – derzeit nicht von der Politik sichergestellt, sondern von der Gemeinschaft der Studierenden.

Was hier letzten Endes auf die Studierenden abgewälzt und von diesen aufgefangen wird, beruht auf einem Politikversagen sämtlicher Ebenen. Die sogenannte aktuelle BAföG-Novelle ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Staat schafft es nicht einmal, die Fördersätze von der Inflation zu bereinigen. Nur rund

10 Prozent der Studierenden in Deutschland sind zurzeit BAföG-berechtigt. So kritisiert auch das Deutsche Studentenwerk, dass eine grundlegende Reform des BAföG-Systems bislang ausblieb. Die prekäre finanzielle Lage vieler Studierender oder jener, die ohne Unterstützung überhaupt kein Studium beginnen können, wird sich so auf jeden Fall nicht ändern.

Die Zuschüsse des Landes sind im Vergleich zum Beginn der 90er, als ihr Anteil am Haushalt der Studierendenwerke noch bei 24 Prozent lag, viel zu niedrig. Heute liegt der Wert bei mageren 10,9 Prozent. Trotz explodierender Studierendenzahlen passiert bei den Ländern also: nichts.

Auch vor Ort zeigt sich die Stadt Köln zu träge, um etwas gegen die explodierenden Preise auf dem Wohnungsmarkt zu unternehmen. Statt Flächen für Wohnheime freizuhalten, werden diese in die freie Wirtschaft überführt und damit unbezahlbar für das Studierendenwerk.

Trotzdem will ich dem Kölner Studierendenwerk gratulieren. Weil es, trotz fehlender Rückendeckung durch die Politik, trotz der strukturellen Hürden und trotz der chronischen Unterfinanzierung mit allen Mitteln versucht, für die Kölner Studierenden da zu sein, sie aktiv während ihres Studiums zu begleiten und auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen systematischen Probleme ist die Umsetzung umso beeindruckender. Zusätzlich befinden sich im Kölner Studierendenwerk auf allen Ebenen Menschen, die sich mit ganzem Herzen für die Studierenden einsetzen und meiner Erfahrung nach immer ein offenes Ohr für deren Anliegen, Wünsche oder Probleme haben.

Klar ist aber auch: Das Alleinlassen der Studierendenwerke muss ein Ende haben. Es ist nicht die Rolle des Studierendenwerks, mit den Krümeln der Politik irgendwie die Studierenden abzuspeisen. Die Studierendenwerke könnten so viel mehr leisten. Der Wille dazu ist auf jeden Fall da. Es mangelt aber am erkennbaren Willen der Politik, an angemessenen Zuschüssen und an einem grundlegenden Umdenken, wie wir mit Studierenden in unserem Land umgehen wollen und welche Rolle Hochschulbildung für uns alle haben soll.

In diesem Sinne freue ich mich noch auf viele weitere Bananenbrote, Frozen Cappuccinos und Pfand-Chips, die sich zusammen mit den entsprechenden Tassen in meiner Wohnung sammeln. Das Kölner Studierendenwerk hat mein Studium bisher maßgeblich mitbestimmt und ich bin mir sicher, dass es das auch noch in den kommenden Jahren tun wird.

Alles Gute zum 100-jährigen Jubiläum, liebes Werk! Und eine allerletzte Bitte: Wäre es vielleicht möglich, die kalte rote Paprikasoße auf Nimmerwiedersehen aus dem Sortiment zu streichen? Oder sie zumindest vorher aufzuwärmen? Ich muss hier jetzt einmal kurz die mir gebotene Bühne ausnutzen, um die wirklich relevanten Themen mit öffentlichem Druck durchzusetzen. Die Studierenden werden es euch danken!

Autor: Ben Himmelrath