Köln oder Bamberg?

Wohnheime sind soziale Räume

Soll ich wirklich nach Köln ziehen? Wir schreiben das Jahr 2022: Tim, 20 Jahre, Student der Betriebswirtschaft an der Universität zu Köln, aktuell wohnhaft in Bamberg. Diese Frage hätte sich vor 100 Jahren dieser Student wahrscheinlich nicht gestellt. Aber jetzt haben wir eine Corona-Pandemie irgendwo zwischen der fünften und sechsten Welle. In diesen Zeiten haben Studierende tatsächlich die Option, am Heimatort, dem schönen Bamberg oder sonst wo, weit weg vom Studienort, zu verbleiben und das Studium im digitalen Format anzugehen.

Distance-Learning, hybride Vorlesung, Videokonferenz. In diesem Jubiläumsjahr kracht die Digitalisierung ins Wohnheim, hier kann man wirklich von einem Rumms sprechen. Die Hochschullandschaft wurde turbodigitalisiert und die Lernorte, also auch die Wohnheime, müssen mithalten. Persönliche Begegnung, der persönliche Austausch, das zufällige Treffen in der Mensa oder bei der Wohnheimparty werden nach nahezu vier Corona-Semestern zu Sehnsuchtsbildern und erfahren einen enormen Bedeutungszuwachs, weil sie vermisst werden und jetzt deutlich wird, wie bedeutsam diese sozialen Sphären des Studiums sind.

Mitten im Jubiläumsjahr 2022 können wir nur spekulieren, wie die Corona-Krise im Wohnheimbereich des Studierendenwerks nachwirken wird. Aber wenn sie dies tut und Veränderungen auslöst, dann steht genau das in der Tradition des Kölner Studierendenwerks: Es hat sich immer an der sich wandelnden Lebenswirklichkeit der Studierenden ausgerichtet.

Als das frisch wiedergegründete „Kölner Studentenwerk e. V.“ vor 76 Jahren drei Trümmergrundstücke in der Robert-Koch-Straße erwarb, um zwei Jahre später dort das erste Wohnheim im befreiten Deutschland für Studenten zu eröffnen, war die Konfiguration eines Wohnheimplatzes wahrscheinlich auch zeitgemäß. Das Wohnungsformat dieser Zeit ist das „Flurzimmer“ mit gemeinschaftlich genutzten Sanitärräumen und ebenso gemeinschaftlich genutzten Küchen. Anfangs sicherlich nach Geschlechtern getrennt und die männlichen Studierenden in der Regel mit Hemd und Krawatte unterwegs – gut, die Kleiderordnungen haben sich häufiger verändert als die Wohnformen. Aber auch diese haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Der Betrieb der Wohnheime wurde durch den Heimleiter sichergestellt, eine im Wohnheim wohnende und beim Studentenwerk angestellte Person. Eine dezentrale Verwaltungseinheit, die es so heute auch nicht mehr gibt.

Bis spät in die 60er Jahre baute das Studierendenwerk beziehungsweise seine Vorläufer-Organisation um die 20 Wohnheime im Format „Flurzimmer“. Bewegung kam in den Wohnheimbau mit der Studentenbewegung der 1960er Jahre. Von da an galten nur noch WG-Zimmer als modern und die WGs mussten möglichst groß sein. Die Geschlechtertrennung war ein alter Zopf, der flugs abgeschnitten wurde. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurden auch die Heimleiter sehr kritisch gesehen und sukzessive in einer zentralen Wohnheimverwaltung zusammengeführt.

In den achtziger Jahren setzte die erste große Sanierungswelle im Studentischen Wohnen ein und fast alle Kölner Wohnheime der ersten Generation wurden in Wohngemeinschaften umgewandelt. Das Flurzimmer verschwand als vorherrschende Wohnform und wurde zum Exoten.

In den späten 80er und folgenden 90er Jahren stand bei Neubauten das Apartment, also das Zimmer mit eigenem Sanitärbereich und Kochnische, hoch im Kurs. Der Soziologe Ulrich Beck befasst sich gerade in seinem zentralen Werk Risikogesellschaft mit der Individualisierung der Gesellschaft und es passt in diesen Kontext, dass auch das studentische Wohnen singulärer und individueller wird. Einzel-Apartments werden, wo möglich, gebaut, bis sich in den 2000er Jahren dieser Trend in zwei Richtungen ausdifferenziert: entweder kleine WGs (3er-, maximal 4er-WGs) oder Einzel-Apartments.

In der Gegenwart greift das Kölner Studierendenwerk auf ein breites Portfolio unterschiedlicher Wohnheimformate zurück: groß/klein, Flurzimmer/WG/Apartment, zentral/vorstädtisch gelegen. Unter dem Gesichtspunkt der Modernisierung ist das Flurzimmer-Wohnheim veraltet. Trotzdem hat es gerade in Köln noch seine Berechtigung. Die finanziellen Möglichkeiten vieler Studierender sind sehr eingeschränkt und liegen nicht selten weit unterhalb des kalkulatorischen Wohnkosten-Budgets aus dem BAföG-Vollzug von aktuell 325 Euro (März 2022). Viele inländische Studierende, aber vor allem auch viele internationale Studierende sind auf preisgünstige Wohnungen unterhalb von

200 Euro pro Monat angewiesen. Und diese kann das Kölner Studierendenwerk nur noch in den wenigen Wohnheimen mit Flurzimmern anbieten. Diese älteren Wohnanlagen mit unübersehbaren Herausforderungen in Sachen Instandhaltung sind gleichsam die Dinosaurier, deren Aussterben abzusehen ist.

Jede Immobilie hat ihre Altersgrenze, ab der eine Sanierung ansteht. Die derzeitigen baurechtlichen Vorgaben und zugänglichen Fördermittel sehen Flurzimmer nicht mehr vor. So stellt eine Sanierung auch immer eine Verteuerung des Wohnraums und meist auch eine Verringerung der Platzzahlen dar, denn Flurzimmer sind sehr flächeneffizient und durch Sanierungen fallen regelmäßig Wohnheimzimmer weg.

Wie in allen Jahren der 100-jährigen Geschichte des Kölner Studierendenwerks kommt der Politik eine elementar steuernde Verantwortung zu. Mit ihrer Förderpolitik hat sie in all den Jahren die Entwicklung des Wohnheim-Portfolios der Studierendenwerke beeinflusst und geprägt. Gleichzeitig waren es aber auch die Studierendenwerke, die umgekehrt die Förder- und Entwicklungsbedarfe bei den politisch steuernden Institutionen angemahnt und manchmal auch erfolgreich angeregt haben.

Tim hat sich erkundigt, ob er denn im Wohnheim des Kölner Studierendenwerks einen zuverlässigen und schnellen Internetzugang hat. Auskunft: positiv! Er braucht diesen zwingend, denn die digitalen Kursformate waren zumindest im Wintersemester 2021/22 alternativlos. Seine Dozent*innen und er werden wahrscheinlich auch nach dem zurückliegenden Corona-Semester zumindest hier und da digitale Lehr- und Lernformate einsetzen. Tim wird zum nächsten Monat nach Köln umziehen. Seinen Mietvertrag mit allen notwendigen Informationen erhielt er unbürokratisch und digital, mit den Kontaktdaten seines studentischen Verwaltungshelfers, um seinen Termin für Schlüsselübergabe und Einzug zu verabreden. Bei Fragen rund ums Wohnen steht ihm ein Vermieter-Verwalter-Team zur Seite.

Er hat so viel von Köln als Studi-Stadt gehört. Jetzt will er Köln selbst kennenlernen: die legendären Wohnheimpartys in Efferen, das Mauerbierchen an der Zülpicher oder das Open-Air-Konzert am Tanzbrunnen – eben typisch Kölsch.

Autor: Jörg J. Schmitz